Helmut Wellschmidt
„Sehen lernen und erkennen“ – so könnte das künstlerische Bemühen Helmut Wellschmidts definiert werden. Seine hier erstmals publizierten Ölgemälde, Aquarelle und Graphiken beschäftigen sich mit den zentralen Fragen des Lebens: Liebe und Hass, Humanität und Menschenverachtung, Jugend und Alter, Schönheit und Hässlichkeit, kreative Schöpferkraft und Passive Schicksalsergebenheit, Individualität und gesellschaftliche Norm, in den Werken Helmut Wellschmidts geht es um das nuancenreiche Erscheinungsbild von Geburt und Tod.
Dem Künstler sind diese beiden Pole Dreh- und Angelpunkt des Lebens überhaupt. Ihn fasziniert das Leben als nie endendes Zusammenspiel zwischen dem „dinghaft Wirklichen“ der Geburt und dem „metaphysisch Unwirklichen“ des Todes. Geburt und Tod bewegen die Lebenswirklichkeit und Wellschmidts Bilderwelt.
Dabei steht für den Künstler „der Mensch an sich“ im Mittelpunkt seines Schaffens.
Helmut Wellschmidt sagt dazu selbst: Der Mensch baut diese Welt, er gibt ihr Gestalt und Form. Er entdeckt, erforscht die Natur und ihre Kräfte, nutzt sie durch Wissenschaft und Technik. Er arbeitet, führt Kriege, tötet, vernichtet, schafft Chaos und ordnet von neuem, so als würde diese Erde ewig Bestand haben. Was aber entsteht, muss auch wieder untergehen. “So erschafft der Künstler Bilder des Lebens, in denen der allgegenwärtige Tod – personifiziert im Sensenmann – daran erinnert, dass der Mensch als einziges Lebewesen mit dem Wissen um die Vergangenheit und seinen unweigerlich eintretenden Tod weiß. Die Spannung zwischen Vergangenheit und Zukunft macht einen wesentlichen Bestandteil im Werk Helmut Wellschmidts aus.
In jedem Leben innewohnende Vergänglichkeit, der schon im Schöpfungsprozess initiierte Tod tritt dem Betrachter in aller Deutlichkeit vor Augen. Das individuelle Schicksal des einzelnen Menschen vor dem Hintergrund seines kollektiven Schicksals von geboren werden und sterben müssen ist das Hauptthema der künstlerischen Arbeiten dieses Künstlers.
Dazu bedient er sich einer einfachen, natürlichen Darstellungsweise. Er verzichtet auf informelle Aspekte und in der zeitgenössischen Kunst häufig zu beobachtende Verklausulierung des Bildinhalts. Wellschmidts Botschaft soll dem Betrachter verständlich sein, ihn ohne Worte etwas über sich selbst und seine Umwelt erzählen. Helmut Wellschmidt wagt es, seine Beobachtungen in gegenständlicher Form an uns weiterzugeben. Er bezieht Stellung, ergreift Partei und vermittelt mit jeder künstlerischen Arbeit eine Botschaft an den Betrachter. Und diese Botschaft ist es Wert, gesehen und verstanden zu werden.
Sie bleibt trotz der unseren Sehgewohnheiten entsprechenden Darstellungsweise nicht an der Oberfläche der beobachteten Phänomene. Getreu der Erkenntnis, dass „Dinge sehen“ und „Dinge verstehen“ zweierlei ist, der Mensch also lernen muss, genauer hinzusehen, um seine Umwelt zu verstehen, hält Helmut Wellschmidt dem Betrachter – unter reicher Verwendung von Allegorien und Symbolen – einen Spiegel vor, in dem die unter der Oberfläche unsichtbaren Antriebskräfte menschlichen Handelns sichtbar werden.
Dabei stellen sich die Werke des Künstlers klar in die Reihe der expressiven Bildwelten epochaler Zeitenwenden: So sind Ähnlichkeiten mit dem visionären Höllenbildern des Mittelalters unverkennbar, deren Dämonen und Geisterwesen dem Betrachter besonders in den Gemälden von Hieronymus Bosch wie Spiegelbilder der eigenen Unzulänglichkeit erscheinen. Auch Helmut Wellschmidt dienen personifizierte Laster als Zeichen für Missstände in Staat und Gesellschaft. In seiner detaillierten Darstellungsweise von Tieren und Pflanzen lehnt er sich an die –Graphiken Albrecht Dürers an. Die gestenreichen, überlängten Hände und Füße erinnern an die dezidierte Körpersprache expressionistischer Künstler. Dazu passt die ausdrucksstarke Mimik der Figuren. Mit dem Schaffen A. Paul Webers lässt sich die teilweise karikierte Darstellung gesellschaftlicher Erscheinungsformen vergleichen.
Das künstlerische Schaffen Helmut Wellschmidts kulminiert in dem Gemäldezyklus „Tritychon“ das den Menschen in seinem kollektiven Schicksal zwischen Geburt und Tod – symbolisiert im Morgen, im Mittag und im Abend – thematisiert. Die drei visionären Bilder schaffen eine alptraumhafte Atmosphäre, sprechen das Unterbewusstsein an.
Adam und Eva, die ersten Menschen und biblische Ureltern der gesamten Menschheit, liegen auf dem Gemälde „ Am Morgen (Werden)“ unter dem Baum der Erkenntnis. Ihre geschlechtliche Beziehung als Mann und Frau ist durch ihre Körperhaltung deutlich akzentuiert. Sie streben deutlich auseinander und können doch nicht voneinander loskommen. Eva reicht Adam den berüchtigten Apfel, während der Mann den Blick abwendet und auf die verführerische Schlange deutet. Die Szene des Sündenfalls spielt nicht - wie bei den alten Meistern – in einem malerischen Paradiesgarten sondern in einer kargen Felslandschaft. Das Ei als Keimzelle alles Lebens ist wie achtlos beiseite gerollt. Affen symbolisieren die menschliche Dummheit, die den über der Szenerie triumphierenden Tod herbei gerufen hat. Im dramatischen Licht der aufgehenden Sonne sind im Hintergrund zwei Menschen zu sehen, die ein Feld beackern. Sie illustrieren das Schicksal der Menschen nach der Vertreibung aus dem Paradies, die Mühsal der alltäglichen Existenzsicherung. Wie ein versöhnlicher Schatten schwebt über allem die Taube als Symbol des Geistes und des Friedens, während im rechten Hintergrund ein Schiff mit vollen Segeln die Reise zu neuen Ufern antritt.
Das jüngste Gericht, die Erlösung der Gerechten und die Verdammnis der Übeltäter, ist das zentrale Thema des Triptychon „Der hohe Mittag (Gerechtigkeit)“ ist die Zeit der Abrechnung. Das so verheißungsvoll aufgebrochene Schiff steht wie erstarrt im Hintergrund auf dem Wasser. Der leidende Christus sitzt als Weltenrichter im strahlend weiten Gewand der Auferstehung und Verkärung auf einem hohen Felsen und richtet die Menschen. Während die erlösten Seelen sanft schwebend in Licht gleiten – beschützt vom ritterlich aufgefassten Erzengel Michael mit seinem Flammenschwert - , werden die verdammten Seelen von unheimlichen Dämonen und Teufeln in die Finsterns geworfen. Wie auf spätmittelalterlichen Darstellungen dürfen auf dieser Seite des Gerichtes Würdenträger aus Kirche und Gesellschaft nicht fehlen. Die absolute Gerechtigkeit nimmt ihren Lauf.
Der schon im „Werden“ enthaltene Tod ist auf dem dritten Teil des Triptychons zusehen: der Kreis schließt sich in der Darstellung „Der Abend (Vergehen)“. Wie bei einem Erdbeben stürzt die Felsenlandschaft in sich zusammen und reißt menschliche Behausungen mit sich. Die im Zentrum des Bildes wahrnehmbare Eiform symbolisiert das Leben, das in sich zusammenfällt. Die Menschen im Vordergrund sind blasse Totenkörper, ausgemergelt und deformiert. Sie haben nicht die Kraft sich dem Grab zu entziehen, den eigenen Verfall oder den der Umwelt aufzuhalten. Wie abgeschnittene Marionetten müssen sie sich mit schlaffen Gliedern ihrem Schicksal fügen. Alles sinkt wie welkes Laub zu Boden. Selbst die Farbe scheint sich nicht auf dem Bildgrund halten zu können.
Mit seinem „Triptychon“ knüpft Helmut Wellschmidt äußerlich und innerlich an die mittelalterliche Altarkunst an. Lässt das Werk zunächst an die klassische Darstellung der Lebensalter denken, so sprengt das Jüngste Gericht im Zentrum der Dreiergruppe schnell diese Vorstellung. Die alles ordnende Gerechtigkeit des Schicksals ist im Werk Helmut Wellschmidts der Hauptbezugspunkt menschlichen Lebens und Sterbens. Geburt und Tod sind beide auf diesen Pol ausgerichtet, nicht die Erlösung sondern die Beurteilung steht dabei im Mittelpunkt.
Helmut Wellschmidt wählt bewusst die Bildtradition und Symbolsprache des abendländischen Kulturkreises für seine Darstellungen, verzichtet auf exotische Zutaten und Amerikanismen. Er ist zutiefst in der europäischen Tradition verwurzelt. Seine Bilder bringen dies klar zum Ausdruck. Er beschreibt die Umbruchsituation des ausgehenden 20. Jahrhunderts mit dem bildkünstlerischen Vokabular vorangegangener Zeitwenden und ergänzt sie je nach Erfordernis.
Vor diesem Hintergrund kulturhistorischer Zusammenhänge entsteht in den Werken Helmut Wellschmidts etwas unverwechselbar Neues: Seine Symbolsprache, die sich dem Betrachter bei genauem Hinsehen bis ins kleinste Detail erschließt, transportiert die klar formulierten Bildaussagen deutlicher , als Worte es je könnten. Das Bemühen, beim Sehen der äußerlichen Wirklichkeit auch die dahinter verborgenen Aspekte des Lebens zu erkennen, pointiert der 1930 in Teschen/CSR geborene und seit der Ausweisung 1946 in Nürnberg lebende Künstler mit der Aussage: „Ich denke mit den Augen“
Von Anfang an stand für ihn nicht nur das Bemühen um die Bildaussage, sondern auch das Streben nach einer handwerklich qualitätsvollen Umsetzung derselben im Mittelpunkt. Nach dem Motto „Kunst kommt von Können“ bereitete sich der junge Wellschmidt zwischen 1950 und 1952 als Schüler von Professor Wacha in Neuburg I Do. gründlich auf das Studium der Malerei vor. Dieses absolvierte er 1952 -1958 an der Akademie Der Bildenden Künste Nürnberg. Bei Professor Schmitt beschäftigte er sich neun Semester mit Wandmalerei und Malerei, bei Professor Wilhelm verbrachte er vier Semester mit Malerei und freier Graphik.
Nach dem Abschluss des Studiums arbeitete Helmut Wellschmidt zunächst elf Jahre als freier Künstler in seiner Heimatstadt Nürnberg. Studienreisen führten ihn in die Schweiz, nach Italien, Frankreich und Spanien. Seit 1962 hat er einen zweiten Wohnsitz in der schleswigholsteinischen Kreisstadt Plön. Dort beschäftigte er sich vor allem mit Kunst am Bau. 1969 nahm er seine Tätigkeit als Kunsterzieher an einer Privatschule in Nürnberg auf. Seit seiner Versetzung in den Ruhestand ist er wieder ausschließlich als freischaffender Künstler tätig.
Ankäufe seiner Werke erfolgten durch die Städte Nürnberg und Fürth sowie anlässlich eines gewonnen Wettbewerbs durch die Stadt Schwabach. Während er sich nach seinem Studium häufig an Ausstellungen - meistens beim Berufsverband Bildender Künstler - in Nürnberg und Franken beteiligt hatte, verzichtete Helmut Wellschmidt in späteren Jahren bewusst auf diese Möglichkeit. Zu ernsthaft war er mit sich und seiner Kunst beschäftigt, musste sich Zeit zur Entwicklung und Reifung seiner Bildwelt gönnen. Erst im Frühjahr 1997 stellte er eine repräsentative Auswahl von Ölgemälden, Aquarellen und Graphiken in der Evangelischen Akademie Nordelbien aus.
„Die Welt in Frage stellen“ – so lautete der Titel seiner Ausstellung. Das Erkennen und Darstellen der Wirklichkeit hinter den sorgfältig aufgebauten Fassaden menschlicher Zivilisation mündete für Helmut Wellschmidt in Fragen, die nicht nur er als Kunstschaffender dem Betrachter stellt, sondern denen sich der Betrachter beim Erleben dieser Kunstwerke unwillkürlich selbst öffnet.
Der Künstler beschränkte sich nicht darauf, voyeuristisch hinter die Fassaden menschlichen Lebens zu schauen. Er hält vielmehr der in Frage gestellten Welt den Spiegel vor, in dem sie sich selbst betrachten und selbst bespiegeln kann. Patenlösungen für die von ihm aufgezeigten Probleme oder gar Lösungstheorien bietet Helmut Wellschmidt nicht an. Es bleibt bei der Bestandsaufnahme. Der Betrachter muss den für sich passenden Ausweg selbst suchen.
Hier beginnt die Eigenleistung des Betrachters: Er muss sich mit den empfangenen Denkanstößen, die ihn in den Alltag begleiten, beschäftigen und Antworten auf die ihm gestellten Fragen suchen. Dies geschieht ganz im Sinne von Paul Klee, der einmal sagte: “Kunst gibt nicht das sichtbare wieder, sie macht sichtbar“
Der Künstler Helmut Wellschmidt verstarb am 8. April 2015 in seiner Heimatstadt Nürnberg
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- Geschrieben von Dr. Silke Hunzinger, Plön
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